Ich will ganz ehrlich sein: die Weihnachtszeit und die damit einhergehenden Eskalationen mit der Plätzchendose meiner Mutter sowie der Genuss des ein oder anderen Marzipanstollens, haben ihn wieder in mein Bewusstsein gerückt. Quasi nach außen gewölbt. Sichtbar gemacht. Gekugelt.

Meinen Bauch.

In dem es gekribbelt hat, wenn ich verliebt war. Wo Schmetterlinge flatterten, sobald ich zurückgeliebt wurde. In dem so manche Mordswut brodelte wie in einem Feuerkessel. Ein Bauch, der objektiv betrachtet vermutlich vollkommen in Ordnung ist und auch immer war. Und zu dem ich doch zeitlebens eine schwierige Beziehung pflege.

Das Verhältnis zu meinem Bauch geriet schon in Schieflage als ich noch ein kleines Mädchen war, vielleicht sechs, sieben Jahre alt. Ein hungriges Mädchen. Das zur Freude der Mutter als unkomplizierter Esser galt. Das nie pummelig war. Aber auch nie dürr. Sondern normal. Stinknormal. Und doch wurde ich immer wieder Ziel spitzer Kommentare aus dem engsten Familienkreis und auch weitläufiger Verwandtschaft.

Na, dir schmeckts aber. Pass bloß auf, dass du nicht dick wirst.“ Sehr häufig hörte ich den Satz: „Du wirst mal wie Oma Hedwig.“ Meine geliebte Oma Hedwig. Eine wunderbare Großmutter, stark übergewichtig, aber mit einem Herz so groß wie ihr warmer, weicher Busen, an den ich mich so gerne schmiegte. Irgendjemand wusste stets etwas zu meiner Figur zu sagen. Vielleicht manchmal im Scherz. Aber immer verletzend. Besonders während der hochsensiblen Teenagerjahre trafen mich derartige Äußerungen empfindlich. Verunsicherung wuchs wie viel ich essen solltemusstedurfte, ob die Waage zu viel anzeigte oder zu wenig. Irgendwann ertappte ich mich dabei, den Bauch einzuziehen. Ununterbrochen. Außer beim Schlafen.

Mit sechzehn begann ich viel Sport zu treiben. Basketball, später Triathlon und Marathon, ich joggte mir die Füße wund, ging ins Fitnessstudio, verbog mich beim Yoga, besuchte Pilates Kurse. Der Zwang in Form zu kommen, um auf keinen Fall übergewichtig zu werden wie Oma Hedwig, konzentrierte sich zunehmend auf meinen Bauch. Ich quälte ihn mit hunderten Sit ups täglich, wollte ihn flach und durchtrainiert. Ich malträtierte ihn solange, bis er mir ein Warnsignal schickte und ein Leistenbruch mich in eine körperliche Pause zwang. Eine feine, weiß glänzende Narbe erinnerte mich täglich daran. Dass ich es übertrieben hatte.

Und dann wollte ich Kinder.

Ich wollte, dass in diesem Bauch, der mir nie gut genug erschien, Leben entstand und wuchs. Ich wollte, dass er Nest wurde für ein Lebewesen, das er nähren und beschützen sollte, bis das Menschlein lebensfähig war.

Dieser blöde Bauch aber wollte nicht parieren. Er zierte sich, blieb leer. Über Monate hinweg. Alles was wuchs, war meine Verzweiflung, weil mir mein Bauch wieder im Weg stand mit seiner Weigerung ein Baby in sich zu tragen. Ich schimpfte, heulte, tobte, boxte auf ihn ein, wenn Monat für Monat auf der Toilette klar wurde, dass wieder nichts wurde aus meinem Traum vom Kind. Allmählich wurde mir bewusst, wie schlecht ich ihn behandelt hatte. In vielen Situationen hatte er mich gut beraten, mir Entscheidungshilfe gegeben. Auch wenn ich nicht immer auf ihn gehört habe.

Ich beschloss, weniger streng mit ihm zu sein. Reduzierte die Sit ups. Wagte hin und wieder, den Bauchnabel nicht bis zur Wirbelsäule einzuziehen. Spürte, wie sich im wahrsten Sinne des Wortes die Anspannung löste. Ja, ich begann ihn zu streicheln, mit ihm zureden, ihm zu erzählen, wie innig ich mir ein Baby wünschte und dass ich auf seine Hilfe angewiesen war. Ich kaufte mir ein Luna-Yoga-Buch, stimulierte ihn mit Übungen, wärmte ihn mit Wärmflaschen. Und tatsächlich, irgendwann blieb meine Periode aus.

Ich war schwanger.

Plötzlich trug ich ihn mit Stolz, betonte ihn mit engen Stretch Shirts, erfreute mich an der zaghaft wachsende Kugel. Der Bauch wurde liebkost, eingeölt, um Schwangerschaftsstreifen vorzubeugen, sanft massiert, gehalten, abends dudelte eine Spieluhr für den kleinen Bauchbewohner eine beruhigende Melodie.

Nach zehn Monaten Höchstarbeit schenkte mir mein Bauch ein Kind.

Meinen kleinen Sohn.

Doch wie groß war der Schreck, als klar wurde, dieses Kind ist nicht gesund.

Wieder wurde ich wütend.

War das alles was mein Bauch drauf hat?

Mir kranke Kinder schenken?

Angst nistete seit Noahs Diagnose in einem dunklen Winkel meines Bauches. Hart und kantig wie ein grober, schwerer Stein. Manchmal wütete die Angst, scheuerte mich wund und blutig, manchmal lag sie ruhig und schweigend da und ließ der Hoffnung Platz, dass alles gut wird.

Und wir wagten einen zweiten Versuch. Ein Geschwisterchen für Noah. Diesmal war mein Bauch sofort bereit. Der Schwangerschaftstest iwurde schneller positiv als ich pinkeln konnte. Wir freuten uns wie verrückt, Noah kuschelte sich an meinen Bauch, als wüsste er, welches Wunder sich darin versteckte.

Und dann… dann kam der 22. Dezember.

Als mein Herz brach, hallte das Donnern in meinem Bauch nach. Der Stein explodierte, Splitter flogen und zerstörten alles. Während Noahs Herz aufhörte zu schlagen, pochte das seines Geschwisterchens zunächst tapfer weiter.

Bis zum 10. Januar.

Dann verstummte auch dieses kleine Fünkchen Hoffnung. Mein Bauch wurde hart wie Stein.

Ich hasste ihn. Er vermochte mein Baby nicht zu halten. Meinen Rettungsanker. Den einzigen Grund, der mir nach Noahs Tod blieb, um weiterzumachen. Zu essen. Zu trinken. Zu atmen.

Man schabte mir den Bauch aus, zurück blieb Leere, schreckliche Leere. Und doch wurde die Fehlgeburt überlagert von der Wucht des Verlustes meines Sohnes. Oft konnte ich gar nicht fassen, was da gerade passierte war und dass ich es war, die mitten in diesem Alptraum steckte.

Wieder begann der Kampf mit meinem Bauch. Diesem Versager.

Aber ich brauchte ihn. Um den Alptraum zu beenden, um weiterzumachen in diesem Leben brauchte ich ihn.

Monatelang versuchte ich wieder schwanger zu werden. Mit ernüchterndem Ergebnis. Ich suchte Ärzte auf. Einer riet mir mehr zu essen. Ich sei zu dünn. Dieser Ratschlag entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Ein anderer sagte, mein Kummer sei zu groß. Helfen konnte mir keiner.

Leise flüsterte mein Bauch, dass es Zeit wurde, nach Hause zurückzukehren. Den Schwarzwald zu verlassen und wieder nach Bayern zu ziehen in die Nähe unserer Familien und Freunde.

Ich hörte auf ihn. Wir kehrten heim. Alles auf Neuanfang.

Den Termin zur Kinderwunschsprechstunde konnte ich nicht mehr wahrnehmen. Musste ich nicht. Ich war wieder schwanger. Nur zwei Wochen nach dem Umzug. So sehr ich mir diese Schwangerschaft auch ersehnte, unbeschwert genießen konnte ich sie nicht. Mein Bauch war ein einziges Kampfgebiet unzähliger Ängste und Sorgen. Jedes Ziehen, jedes ungewöhnliche Stechen, jede seltsame Verhärtung der wachsenden Kugel, versetzten mich in atemlose Panik. Ich hätte meinem Bauch so gerne vertraut, dass alles gut wird, dass er seinen Job gut machen und das Kind gesund bei mir landen wird.

Aber ich konnte nicht.

Der Bauch wuchs unbeeindruckt von meinen Sorgen ganz wunderbar, kleine Füße strampelten darin herum, Fäuste boxten sich durch die Bauchdecke. Wieder und wieder versicherte mir mein Frauenarzt, dass alles in bester Ordnung sei. Und dennoch: ich hatte Angst, dass der Bauch wieder versagt. Schlapp macht. Das Baby stirbt.

Der Geburtstermin kam und ging, mein Bauch wollte das Kind nicht freigeben, es musste mit Medikamenten nachgeholfen werden und die Kugel empörte sich mit einer Überstimulation der Gebärmutter und einem heftigen Wehensturm. Wir arbeiten gegeneinander, aber am Ende behielt ich die Oberhand und presse ein käseschmieriges Mädchen hervor.

Meine Tochter. Rosig. Gesund. Meine Wilde Hilde.

Das stimmt mich versöhnlich. Dankbar. Er hat seine Sache gut gemacht, mein Bauch. Er sieht kurze Zeit später aus als wäre nie ein Kind darin herumgeturnt, ohne Schwangerschaftsstreifen, ich bin zufrieden. Hildchen hält mich so auf Trab, dass ich das Baucheinziehen vergesse. Es ist weder nötig noch wichtig. Erstmals leben wir in friedlicher Eintracht miteinander.

Bis ich mir für Hildchen ein Geschwisterchen wünschte. Wieder der Versuch schwanger zu werden. Wieder stimulierendes Luna-Yoga, wieder dauerte es länger als gewünscht, aber irgendwann zeichnet er sich zartrosa ab, der zweite Strich. Doch diesmal begann die Schwangerschaft holprig. Im Ultraschall war lange nichts zu sehen, die Fruchthöhle blieb leer. Der Verdacht auf Eileiterschwangerschaft ließ die scharfkantigen Steine wieder rollen. Wut schäumte auf. Ich verfluchte meinen Bauch, dass er nicht einfach mal ohne Probleme seiner Bestimmung nachkommen konnte. Erst in der 10.SSW Entwarnung, da wuchs was, da schlug ein Herz.

Die Schwangerschaft ähnelte der vorangegangenen, Angst saß tief und erstmals nahm der Bauch gigantische Ausmaße an, da war nichts mehr mit niedlicher Babymurmel. Er schmerzte permanent und ich fürchtete ernsthaft, er könnte einfach platzen. Bumm. Kaputt.

Doch er hielt, bot meinen Baby Schutz und entließ es sicher mit einer raschen, reibungslosen Geburt. Oski Koslowski, wunderbar gesund.

Diese Schwangerschaft hat deutlich mehr Spuren hinterlassen. Die Haut war nach wie vor intakt, doch das Gewebe ausgeleiert, ich trug noch Wochen nach der Geburt ein kleines Kügelchen vor mir her. Und wieder schossen sie wie Pfeile direkt in die vertrauten Wunden meiner Kindheit und Jugend. Die mehr schmerz- als scherzhaften Kommentare.

Wurde da ein Kind drin vergessen?“

Ich wünsche mir sehr, eines Tages einfach über solche dümmlichen Sprüche lachen zu können. Oder schlagfertig zu kontern. Oder hoch erhobenen Hauptes zu ignorieren. In anderen Bereichen gelingt mir das ohne Probleme.

Thema Langzeitstillen?

Weder ein ungläubiges „Waaas du stillst noch? Oski Koslowski hat doch schon Zähne!?“ noch ein hobbypsychologisches „Du kannst wohl nicht loslassen!“ kratzen an meiner Überzeugung. Da bin ich wirklich schmerzfrei. Es liegt ein ganzes Stück Arbeit vor mir, das auch auf die sensiblen Bereiche meines Körpers zu übertragen.

Mittlerweile habe ich meinen Bauch in den Gebärruhestand geschickt. Das hat die Drucksituation zwischen uns deutlich entspannt. Er muss keine Kinder mehr beherbergen. Er dürfte gerne etwas straffer sein. Wenn er aber zu erschöpft ist für ein Sixpack, ist das auch okay. Meine stoffarmen Bikini-Jahre sind ohnehin vorbei. Er darf mich weiterhin gut beraten und ist mir besonders im Umgang mit den Kinder ein intuitiv kluger Ratgeber. Der Ort, an dem sie zehn Monate geborgen waren, wispert mir zu, dass es okay ist, Oski Koslowski so lange zu stillen wie er das möchte. Er flüstert mir, dass es in Ordnung ist, sie nicht zu dressierten Äffchen zu drillen, die artig Pfötchen geben und auf Kommando Bitte und Danke sagen müssen. Er raunt mir zu, dass Hilde vor sich hin träumen darf und ich keine Sorge haben muss, dass sie sich in der Realität nicht zurecht findet.

Ich höre genau hin und nehme ihn ernst. Ich bin gut zu ihm, creme ihn noch immer mit viel Hingabe ein, als gelte es Dehnungsstreifen zu verhindern. Ich achte darauf, dass nicht zu viele Angststeine in ihm poltern.

Und die Weihnachtsplätzchen, die sich in weichen Pölsterchen um ihn herum schmiegen… ach egal, scheiß drauf.