Okay, das Thema finden manche vielleicht etwas heikel. Unangenehm. Oder gar eklig. Immer mit der Ruhe. Das soll auch kein Manifest werden, die Natürlichkeit der weiblichen Menstruation anzupreisen. Auch kein blumiger Erlebnisbericht. Aber die Menstruation findet nun mal statt und wer mit kleinen Kindern in einem Haushalt lebt, weiß, dass das Badezimmer spätestens mit Ende der Krabbelphase kein heiliger Ort mehr ist.
Klar, man könnte abschließen. Wenn man das möchte. Ein letztes bisschen Privatsphäre erzwingen. Leider weiß ich nicht mehr, wo die Schlüssel sind. Die sind ebenso verschwunden wie unser tragbares Telefon. Aufgesogen in den Kinderkosmos.
Aber ich schweife ab.
Selbst wenn ich noch im Besitz eines Badezimmerschlüssels wäre, würde ich ihn während der Erdbeerwoche wie es immer so niedlich heißt, nicht nutzen. Warum auch?

„Mama, blutest du wieder?“

Sobald mich einmal im Monat besagte Fruchtwoche mit all ihren zauberhaften Begleiterscheinungen beglückt, erhellen sich die Gesichter der Kinder vor Erkenntnis, sobald ich mein buntes Menstruationstässchen herauskrame. Mama hat ihre Periode. Das ist die Zeit, in der sie ein bisschen knatschig und süchtig nach Wärmflaschen auf dem Bauch ist, ständig zum Kühlschrank rennt und eben öfter auf Toilette geht als üblich.
„Blutest du wieder?“, fragen sie dann und wenn ich das bestätige, nicken sie wissend. Manchmal schauen sie interessiert zu, wie ich mit der lustigen Tasse hantiere und diese auf geheimnisvolle Weise in meinem Körper verschwindet, manchmal juckt es sie überhaupt nicht und sie verkrümeln sich unbeeindruckt ins Kinderzimmer.
Beim ersten Mal, als ich von Tampons auf Cups umgestiegen bin, war ich versucht, das vor ihnen fern zu halten. Ich meine, sind wir mal ehrlich, das ist schon ein ziemlich blutiges Schlachtfeld, dass sich da in die Toilette ergießt. Müssen Kinder das sehen? Dürfen sie? Sollen Sie? Und müssen sie en détail wissen, was da jeden Monat mit Mamas Körper passiert? Oder ist das ein klassischer Fall von too much information?

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Ich habe für mich beschlossen: wer fragt, bekommt eine Antwort, wer kucken will, darf kucken.
Oski Koslowski will oft kucken und fragen: „Blutet Oski auch? Und der Papa? Und Hilde?“
So einfach und kindgerecht wie möglich, beantworte ich seine Fragen. Nein, du und Papa bluten nicht. Hildchen wenn sie etwas älter ist schon. Die will dann natürlich wissen, wieso, weshalb, warum. Nach ein paar Sätzen über die Funktion einer Gebärmutter und was das Ganze mit Kinderkriegen zu tun hat, ist sie zufrieden. Oski sowieso. Keiner von beiden scheint traumatisiert, wenn meine Periode nicht in aller Heimlichkeit abläuft. Sie können damit umgehen. Ebenso mit anderen Themen, die man vor Kindern gerne fernhält. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern mit dem durchaus ehrenwerten Vorsatz, die kindliche Seele zu schützen. Meist sind es genau die Themen, die Erwachsenen selbst als unangenehm empfinden. Bei denen es Hemmschwellen gibt. Tod und Sterben zum Beispiel. Da spricht niemand gerne drüber. Sich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen tut weh. Weckt Ängste.

Der Tod fragt nicht, wer gerade Lust auf ihn hat

Bei uns wurde er ungebetener Gast, schlich sich unaufgefordert in unsere Familie und richtete verheerenden Schaden an. Die Auswirkungen noch heute spürbar.
Ihn ignorieren? Seine Existenz vor den Kinder verschweigen?
Keine Chance.
Er hat uns den Sohn genommen, den Bruder. Er muss benannt und angenommen werden, wir müssen mit ihm leben. Also tun wir das. Mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Phasen intensiver Beschäftigung wechseln sich ab mit Phasen, in denen wir ihn kaum beachten. Noah dagegen ist immer präsent, sein Bild leistet uns im Wohnzimmer Gesellschaft, er grinst uns in der Küche vom Kühlschrank aus mit seinen Mäusezähnen zu und über unserem Bett bewacht er unseren Schlaf. Doch auch die schönsten Bilder können über die bittere Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass vor allem Noahs Fehlen dominiert. Und dafür ist nun mal der doofe Tod verantwortlich.
Für Oski Koslowski ist das alles noch zu abstrakt. Aber Hildchen weiß das. Und sie stellt Fragen.
Wie das so ist mit dem Sterben. Was passiert, wenn ein Mensch stirbt. Wer genau stirbt. Muss Mama auch sterben? Und sie selbst? Und wo ist Noah überhaupt? Gibt es Spaghetti dort wo er ist? Hat er genug Spielsachen, damit ihm nicht langweilig wird? Und wieso können wir ihn eigentlich nicht besuchen?

Es gibt nicht auf alles Antworten

Manche Fragen kann ich Hildchen natürlich nicht beantworten. Schlicht, weil ich die Antwort selbst nicht weiß.
Was nach dem letzten Atemzug geschieht? Keine Ahnung.
Aber ich kann ihr erklären, an was ich glaube. Dass eine Seele nicht einfach so verschwindet. Dass Noah irgendwo ist. Und uns in Empfang nehmen wird, eines Tages. Denn auch das sage ich ihr: wir alle werden irgendwann sterben. Dann schimpft sie und sagt, dass sie das blöd findet. Und ich stimme ihr zu und wir schimpfen gemeinsam. Es ist ja auch ärgerlich. Wo das Leben doch so schön ist.
So gewaltig und angsteinflößend der Sachverhalt auch sein mag, Hildchen gibt die Authentizität mit der wir das Thema angehen eine gewisse Sicherheit. Vermeintlich „kindgerechte“ Aussagen dagegen, verwirren sie. Als jemand in Hildchens Anwesenheit mal die Bemerkung fallen ließ, nur alte Menschen würden sterben, fand sie das ganz und gar nicht tröstlich, sondern stolperte über Ungereimtheiten. Noah war nicht alt, als er starb. Sondern ein Kind. Das Baby in meinem Bauch war sogar nicht mal geboren, als das Herzchen aufhörte zu schlagen.
Also sagte ich ihr: „Auch Kinder sterben. Manche sind so doll krank, dass sie nicht mehr gesund werden können. Andere haben einen Unfall. Und manchmal können Babys nicht mal geboren werden, weil sie schon in Mamas Bauch sehr krank sind oder einfach für immer einschlafen.“
Diese Informationen überfordern Hildchen nicht. Wenn sie etwas nicht versteht, hakt sie nach. Und ich finde, ich bin es ihr schuldig, aufrichtig zu antworten, so nah an der Wahrheit wie möglich.

Schnitzel pflückt man nicht von Panierbäumen

Neulich wollte sie beim Essen wissen, aus was das Schnitzel gemacht ist, das Papa für sich und die Kinder gebraten hat.
„Aus dem Fleisch von Schweinen“, erwiderte ich nüchtern. Erst fand sie das irre komisch und hat gelacht. Dann wurde sie plötzlich ernst und wollte genau wissen, wie man an das Fleisch kommt.
„Man muss die Tiere erst töten und dann schlachten.“
Hildchen überlegte und wollte bis ins letzte Detail wissen, auf welche Art und Weise Hühner, Schweine und Kühe getötet werden. Da habe sogar ich mal gezögert. Ob ich wirklich von Kopfschüssen und Häutungen erzählen sollte. Ich habe. Den Bären vom sanften Totstreicheln wollte ich ihr nicht aufbinden.
Man sollte Kinder nicht unterschätzen. Sie sind kompetenter, als man glaubt. Natürlich ist jedes Kind anders. Manche sensibler als andere. Manchen macht zu viel Wahrheit Angst. Die Herausforderung liegt bei uns Eltern, die richtige Dosis Wahrheit für die eigenen Kinder zu finden. Zu erspüren, was Kinder verkraften können. Das richtige Maß zu finden. Und sich zu trauen, die Samthandschuhe im Schrank zu lassen.

Souveränität für meine Kinder in allen Lebensbereichen

Ich hoffe, dass mein zwangloser Umgang mit Themen wie Menstruation den Kindern hilft, dass sie nie vor diesen unüberwindbaren Hemmschwellen stehen, die uns Erwachsene oftmals die Sprache verschlägt und gegen vermeintliche Tabus stoßen lassen. Ich wünsche mir, dass Hildchen ohne Scham menstruieren wird, den weiblichen Zyklus feiert und nie das Gefühl hat, sich verstecken, einschließen oder die natürlichste Sache der Welt verheimlichen zu müssen.
Ich wünsche mir, dass Oski Koslowski, sollte sein Herz sich für eine Partnerin entscheiden, ohne Scham im Drogeriemarkt Tampons besorgt, unaufgefordert Wärmflaschen zubereitet und Verständnis für den Ausnahmezustand vor und während der heiklen Tage hat.
Ich wünsche mir, dass beide als junge Erwachsene mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Informationen selbst reflektieren, ob sie Fleisch essen oder darauf verzichten wollen.
Ich wünsche mir, dass sie keine Angst haben über schwierige Themen wie den Tod zu sprechen, auch Ängste zu formulieren und sich einzugestehen, dass es Dinge gibt, auf die man zeitlebens keine Antwort finden wird.
Ich wünsche mir für meine Kinder Souveränität im Umgang mit allen Wahrheiten des Lebens. Und stets dem eigenen richtigen Maß.