Mit dem Slogan Zeit für Kreatives warf die handmade-Messe dieses Jahr in Würzburg ihren Köder aus und ich biss sofort an.

Zeit. Das klang wundervoll.

Für Kreatives. Noch besser.

Zeit für Kreatives. Bombastisch.

Und zugleich völlig unrealistisch. Denn sind wir mal ehrlich. Mehr Zeit bleibt mir im Alltag auch dann nicht, wenn ich mir auf der handmade-Messe an über 90 Ständen in aller Ausführlichkeit anschaue, was ich mit meiner Zeit Kreatives anstellen könnte, wenn ich selbige im Überfluss hätte. Aber das ist ein anderes Thema und muss irgendwann einmal in einem Zeitmanagement-Blogpost aufgearbeitet werden. Stattdessen schwelge ich lieber in Erinnerungen an meinen Messebesuch und tu so, als würden sich in meinen vollgepackten Tagen wie von Zauberhand kleine Zeitfenster öffnen, die mir erlauben, meine Kreativität in Fluss zu bringen. Träumen darf man ja.

Messebesuch als Auszeit

Mit Kindern zur Kreativmesse? Undenkbar. Ich kenne meine Kinder und weiß, wo ihre Grenzen liegen. Mein Mann weiß das auch. Viel Wimperngeklimper war also nicht nötig, um meinem Mann familienfreie Zeit abzuschwatzen.

Bleib so lange du willst.“

Geschenke machen kann er. Und ich weiß solche Geschenke anzunehmen. Schnell hatte ich meinen Messebesuch geplant und mich um 11:00 Uhr zu einem Kalligraphie-Workshop angemeldet. Besagte 90 Stände tummelten sich auf insgesamt drei Etagen. Viel zu kucken. Als meine Familie mich am Messetag zum Congress-Centrum chauffierte, verabschiedete ich mich mit den Worten: „Um 18 Uhr ist hier Schluss. Dann könnt ihr mich wieder abholen.“ Wenn schon Mama-Freizeit, dann richtig.

Mein Turnbeutelchen auf dem Rücken stürzte ich mich ins Getümmel und war sofort überrascht, weil es ein solches nicht gab. Getümmel. Auf dem Flyer wurde geraten den Besuch auf den frühen Nachmittag zu legen, um dem großen Ansturm zu entgehen. Kein Ansturm, der nicht zu bewältigen gewesen wäre. Schließlich schob ich weder einen Kinderwagen, noch zappelte ein Kind in der Trage auf dem Rücken. Niemand wollte Brezel oder Wasser, niemand musste Stinker oder büxte aus. An Ständen, die mich interessierten konnte ich solange stehen bleiben wie ich wollte, ich bestimmte das Tempo und den Fokus. Alleine mit mir selbst wurde ich trotz des regen Treibens um mich herum immer ruhiger. Das sonst so rastlose Gedankenkarussell in meinem Kopf, verlor an Geschwindigkeit. Die nie stoppende Abfolge aus ständig wiederkehrenden Fragen und sich schmiedenden Plänen – was koche ich zum Abendessen, bekomme ich Kinderarzt und Eltern-Kind-Turnen unter einen Hut, Wilde Hilde braucht neue Gummistiefel, ich muss noch ein Geburtstagsgeschenk für mein Patenkind besorgen, ist meine blaue Jeans in der Wäsche oder von Kinderhand verschleppt – drosselte wie von Zauberhand ihre Fahrt. Ob es nun am ungewohnten Alleinsein lag oder am fast meditativen Schreiben des Kalligraphie-Workshops, wer weiß das schon.

Entspannungsprogramm Kalligraphie

Mit einer Bandzugfeder bewaffnet versuchte hübsche Buchstaben aufs Papier zu schreiben. Konzentrierte mich auf Aufstriche und Abstriche, mühte mich an Ober- und Unterlängen, kämpfte mit dem kniffligen s und freute mich über ein gelungenes k. Zur Produktion kalligraphischer Kunstwerke befähigte mich der Workshops natürlich nicht. Die Kursleiterin erarbeitete ein Alphabet und erklärte die Grundzüge des Kalligraphierens. Ein erster Grundstein, um zu Hause weiter zu üben. Die Feder war in der Kurs-Gebühr enthalten und praktischerweise bot die Kursleiterin an ihrem Stand neben kalligraphisch verzierten Nettigkeiten wie beschrifteten Lichttütchen und Karten auch weitere Schreibutensilien an. Zum Beispiel Tinte. Ich brauchte Tinte. Ich kaufte Tinte.

Der Beginn eines regelrechten Kaufrauschs

Ziemlich forsch meinte die schicke, tiefblaue Tinte, ich könne mich ebenso gut im Lettering versuchen, wo ich doch jetzt schon mal mit Buchstaben beschäftigt hatte. Sie wusste wohl, dass ich momentan mit Begeisterung Pinterest nach Lettering-Bildern durchforste. Weil ich es schön finde. Und die Kunstfertigkeit bewundere, mit der Plakate und Karten gestaltet werden. Also gesellte sich ein Brushpen mit Mini-Anleitung für besagtes Lettering in das Tütchen zu der Tinte.

Ein paar Stände weiter überzeugte mich eine sympathisch schwäbelnde Bastelbedarfsfrau, dass sich die Kunst des Stempelns hervorragend mit Lettering kombinieren lässt. Und so wanderten Stempel mit Weihnachtsmotiven über den Tresen. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich an einem windigen Novemberabend zuhause am Tisch sitzen, eine Tasse dampfenden Tee neben mir, Farbkleckse an den Fingern, Zuckerstangen stempelnd, Weihnachtsgrüße letternd. Vorweihnachtliche Do it Yourself – Romantik. Genau mein Ding.

Reise durch das Do it yourself – Universum

Weniger mein Ding waren alle textillastigen Aussteller, die ich lediglich mit flüchtigem Blick streifte. Wunderschöne Stoffe, Jersey mit niedlichen Aufdrucken für selbst genähte Kindermode, hübsche Baumwollmuster, Nähzubehör wie Fadenrollen in allen Farben des Regenbogens, Knopfparaden, Patches mit einer Motivpalette von maritimen Anker über Einhörner bis hin zu Flugzeugen und Batman-Emblem – alles hübsch anzusehen, aber für mich als Nähhorst, der nicht mal weiß, wie eine Nähmaschine zu bedienen ist, eher uninteressant. Filzen, Stricken, Quilten, nichts davon beherrsche ich, nichts davon reizt mich momentan.

Das Backsortiment der hinreißenden Französin Vera (allein ihr Akzent – adorablement!) zog mich dagegen sofort magisch an. Plätzchenausstecher in allen Größen und Formen. Ich fand dort Förmchen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie suchte. Falls jemand zufällig ein Walfischplätzchen backen will, ruhig bei mir melden.

 

Ich passierte Naturseifen, zauberhafte Schrankknöpfe, bei denen ich gerne zugeschlagen hätte, wenn ich nur die entsprechenden Schränke mein Eigen nennen würde, handgefertigten Schmuck, Porzellan aus Kasachstan, geschnitztes Holzgeschirr, faltbare Lampenschirme. Winzige Wichtel mit Haselnusskörper und Filzhütchen in bester Nippes-Gesellschaft von Porzellan-Engeln und aus Beton gegossenen Mini-Gugelhupfs. Dagegen war ich immun.

                         

Zierliche Väschen, die an einem feinen Draht befestigt, schwebend kleinen Blumen Platz bieten, musste ich dagegen sofort kaufen. Der nächste Sommer und mit ihm von schwitzigen Kinderhänden gepflückte Gänseblümchen kommen bestimmt und können nun stilvoller arrangiert werden, als wie sonst üblich im schnöden Schnapsglas.

Wie im Rausch

Schließlich entdeckte ich mein absolutes Messe-Highlight: ein Schmucksystem mit austauschbaren Aufsätzen für Ringe, Ketten und Armbänder. Das Mädchen in mir meldete sich kreischend zu Wort und wählte märchenhafte Motive für einen Ring und ein Armband. Ich widersprach natürlich nicht. Zahlte brav, tütete den Schmuck ein und zog weiter zu einem Perlenstand.

 

    

Personalisierte Perlenarmbänder Marke selbst gefädelt hatten es mir seit einiger Zeit angetan. Buchstabenperlen bunkerte ich bereits zuhause, heute vervollständigte ich meine Materialliste. Hemmungsloses Namensbänder fädeln ist für einen weiteren Novemberabend fest eingeplant. Wenn ich mit dem Lettern und stempeln durch bin. Für Perlen & Co opferte ich mein letztes Bargeld.

Mit dem Plündern meines Portemonnaies endete auch meine Reise durch den handmade-Kosmos. Weit vor 18 Uhr. Ich war zwar pleite, hatte aber jeden Euro sehr sinnvoll angelegt. Gratis zu meinen ganzen Schätzen habe ich auch eine wichtige Erkenntnis aus dieser Mama-Auszeit dazu bekommen. Sie steckt noch in mir, diese kreative Neugier, die sich entfalten könnte, wenn ich nicht jeden Abend bis elf Uhr ein nimmermüdes Mädchen in den Schlaf begleiten müsste. Unter dem allgegenwärtigen Mama-Ich, der fürsorglichen, unterhaltenden, tröstenden, fütternden, wickelnden, liebkosenden, Duplo bauenden Mama-Schicht, schlummert noch der Kathrin-Kern. Die Freude am Kreativen, der Spaß am Gestalten, die Lust Neues auszuprobieren. Gut zu wissen, das alles noch da ist. Mit dieser beruhigenden Erkenntnis konnte ich tief beruhigt zu meinen Kindern zurückkehren. Und wer weiß, vielleicht stempeln wir bald zusammen.