Wer mich kennt, weiß zwei Dinge über mich:

Ich hasse Camping und mag keine Hunde. Letzteres schon immer und scheinbar ohne bestimmten Grund, der Camping-Abneigung dagegen ging ein schweres Trauma voraus. Jener prägende Urlaub am Ossiacher See, als ich tagelang mit meinen Eltern bei strömendem Starkregen in einem winzigen Zelt kauern musste. Zwar nahte damals Rettung in Gestalt eines trockenen Wohnwagens mit holländischem Kennzeichen, dessen Besitzer Mitleid mit mir hatten und das bedauernswert durchnässte Mädchen mit Butterkringeln, Milch und der Sesamstraße versorgten. Doch trotz der Rettungsversuche der Holländer kam ich schon in jungen Jahren zu dem Entschluss: Urlaub ist kein Urlaub, wenn man zum Schlafen in ein nasses Zelt robben muss und der Weg zum Klo so weit ist, dass die ersten dringenden Tropfen in die Hose gehen. Aufgrund dieser Erfahrung pflegte ich schon im Vorschulalter eine intensive Vorliebe für Hotelurlaube inklusive All-you-can-eat-Büffet, schattigen Liegestühle an türkisglitzernden Pools sowie fußläufiger Strandnähe. Das perfekte Ambiente, um den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Lesen, Schwimmen, Essen. Schon seit Kindesbeinen meine drei Kernkompetenzen.

Liebesurlaub mit dem Wikinger

Der Mann an meiner Seite teilte bis auf die Leidenschaft für Büfetts keine meiner Leidenschaften, und so einigten wir uns für den ersten gemeinsamen Club-Urlaub auf den Bahamas auf einen täglichen Wechsel von Aktiv- und Erholungstagen. Kam er bei Erkundungstouren durch wilde Mangrovenwälder und fischduftende Häfen auf seine Kosten, schlug meine Stunde, wenn wir den Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang in ausschließlich horizontaler Position verbrachten und seitenweise Urlaubslektüre verschlangen. Selbstverständlich mit kulinarischer Begleitung in Form eisgekühlter Cocktails von der Strandbar. Und Körbchen mit Pommes vom Imbiss. Ab und zu ein kleiner Burger. Und die Pizza war auch nicht zu verachten. Der Kompromiss gelang, das System funktionierte, der Wikinger war happy und ich auch. So hätte es weitergehen können, aber …

… dann kamen die Kinder.

Unser Leben veränderte sich schlagartig, ebenso unsere Urlaube. Es gab nämlich keine mehr. Zu ungewiss, wie das wohl werden würde mit einem immerzu schlaflosen Hildchen und einem, nun ja, drücken wir es euphemistisch aus, sehr aufgeweckten Oski Koslowski. Bis wir im Sommer 2018 den Sprung nach Schweden wagten. Gemeinsam mit der Familie meines Mannes, der Wikingersippe sozusagen, verbrachte ich zwei der besten Wochen meines Lebens in der Bullerbü-Idylle eines roten Ferienhauses am Rande eines verwunschenen Waldes. Gelesen habe ich kaum, dafür aber ausführlich im Kattegat gebadet, skandinavisch-heimelige Örtchen besucht und die üblichen Touristen-Must-Haves bestaunt. Die Kinder waren überraschend friedlich, was sicher auch an der Sippengesellschaft lag, und ich verlor dank der Spülmaschine meine allgemeine Abneigung gegen Ferienhäuser. Als wir uns wieder auf den Heimweg machten, blieb ein Stückchen meines Herzens in den Birkenwäldern Schwedens zurück.

Ab jetzt nur noch Schweden?!

Gerne wäre ich im darauffolgenden Jahr wieder in mein Seelenland gereist. Aber Schweden ist weit weg, die siebzehnstündige Anreise zäh. Wir schafften es nur bis zur Küste, eine Woche im Familienhotel auf Usedom.

Immerhin Meer, dachte ich.

„Und zweimal täglich Büffet“, betonte der Mann.

Das Büffet ließ wirklich keine kulinarischen Wünsche offen. Davon unbeeindruckt wälzte sich mein damals dreijähriger Sohn kreischend auf dem Boden vor der Kühltheke mit den marinierten Fischen. Und Hildchen brillierte durch eine mehrere Oktaven umfassende Heul-Arie, als sie beim Frühstück ein Loch in ihrem Pfannkuchen entdeckte, durch das vulgär Nutella quoll. Unvergessen der mitleidige Kommentar der Dame am Nebentisch, die meine verzweifelten Versuche beobachtete, Oski Koslowski davon abzuhalten, seine Socken über die Platte mit Tintenfischringen fliegen zu lassen. „Die arme Mutti“, sächselte sie voller Anteilnahme, was nur dazu führte, dass ich mich erst recht armselig fühlte. Besonders als Oski das Wandtattoo im Hotelzimmer von der Raufasertapete riss.

Kurz und gut: Der Urlaub war schlimm. Bereits am zweiten Tag gedachte der Wikinger wieder abzureisen. Nur durch gutes Zureden gelang es mir, einen vorzeitigen Abbruch zu verhindern. Auch während dieses Aufenthalts an der Ostsee nahm ich kein Buch zur Hand, und wie schon in Schweden ließ ich wieder etwas zurück. Diesmal einen nicht unerheblichen Teil meiner Nerven, die ich zusammen mit der Hoffnung am Strand verbuddelte, jemals wieder einen entspannten Hotelurlaub genießen zu dürfen. Zumindest nicht bis die Kinder irgendwann Hotelreife erreichen würden oder volljährig waren. Ich war mir nicht sicher, was davon zuerst der Fall sein würde.

Dann kam COVID-19.

Es tröstete ein bisschen, dass Reisen im Corona-Jahr quasi kaum möglich war und wir uns gar nicht erst mit der ernüchternden Tatsache auseinandersetzen mussten, dass wir keine Ahnung hatten, welche Art von Urlaub zu unserer Familie passte. Die Pandemie verlangte viel, zwang zur Beschäftigung mit sich selbst. Was nicht immer angenehm war, aber auch überraschende Erkenntnisse offenbarte. So stellte ich beispielsweise fest, dass meine vermeintliche Abneigung gegen Hunde gar keine war, sondern schlicht auf der Bequemlichkeit fußte, mir selbst eine Meinung zu bilden. Ich hatte seinerzeit einfach die meines Vaters übernommen. Der mochte nach einem unerfreulichen Erlebnis keine Hunde. Als Kind ging ich einfach davon aus, dass er als Erwachsener schon wissen würde, was man mögen oder eben nicht mögen sollte. Aus demselben Grund war ich – wie er – HSV-Fan geworden. Einmal in Fahrt, begann ich weitere Überzeugungen in Frage zu stellen. Eine davon betraf das Campen.

Vielleicht wäre Campen eine Möglichkeit „trotz“ der Kinder zu verreisen?

Immerhin gibt es auf Campingplätzen kein Büffet bei dem es zu einem infantilen Eklat kommen könnte. Und der Hund wäre auf einem Zeltplatz auch besser untergebracht als in einem Hotelzimmer. Der Wikinger staunte, als er von meinem Sinneswandel erfuhr. Selbst in der Jugend passionierter Camper, füllte er online einen Warenkorb für ein Rundum-sorglos-Paket, um meiner zarten Camping-Bereitschaft ein stabiles Fundament zu mauern. Gespannt zeigte er mir ein geräumiges Drei-Raum-Zelt, bequeme Matratzen, Tisch und Stühle, eine elektrische Kühltasche und sogar einen klappbaren Küchenschrank. Ich war beeindruckt.

„Bist du dir wirklich ganz sicher?“, hakte der Mann sicherheitshalber nach, bevor er die umfangreiche Bestellung abschickte. Er wusste von meinem Trauma am Ossiacher See. Ich fand, es war an der Zeit, selbiges zu überwinden.

„Wir gehen Campen!“, sagte ich wagemutig und  schmiegte mich an unsere inzwischen innig geliebte Mischlingshündin. Es war entschieden. Weil der Wikinger mich kannte und irgendwie auch ein bisschen liebhatte, flüsterte er mir ein Versprechen ins Ohr: „Ich suche uns was am Wasser. Damit du schwimmen kannst. Und du packst mindestens zwei Bücher ein.“

Ob ich die Bücher überhaupt in der Hand hatte, wie die erste Nacht im Zelt war und ob eines der Kinder wieder mit einem großen Auftritt brillierte, liest du im zweiten Teil meiner Urlaubsgeschichten!