Krone der Mütter haben sie mich genannt. Mich stolz auf ihren Häuptern getragen. Ich war ihr Rettungsanker an Tagen, die nach schlaflosen Nächten zu früh anfingen, Tagen, an denen ihnen die Kraft fehlte für ordentliche Zöpfe, Föhnfrisuren und Flechtkunstwerke. Wenn ihre Energie morgens gerade für eine Tasse Kaffee gereicht hat, habe ich mich unkompliziert zurückbinden lassen und ihren müden Köpfen einen lässigen Touch Coolness verliehen, habe so getan, als sei das alles gewollt, das Verwuschelte und Zerrupfte, obwohl dafür eher notorisch unruhige Kinderhände verantwortlich waren.
Ich war immer da, verlässlich, auch nach drei Tagen ohne Haarwäsche, ich erledigte meinen Job selbst dann, wenn in fettigen Strähnen Pfirsichmus und Milchreste klebten.
Ich war diskret, versteckte unauffällig zerfledderte Spitzen, die sich anfühlten wie trockenes Heu. In mir verwirbelt, verbargen sich nachwachsende Ansätze und graue Strähnen. Alle Anzeichen mangelnder Selbstfürsorge schottete ich zuverlässig vor den Augen der Öffentlichkeit ab.
Ich spendete Trost, erhob mich tapfer als letzte Bastion weiblicher Würde, erinnerte an die Zeiten, als Haare und Frau noch eine liebevolle Beziehung pflegten, als noch Raum war für Kuren und Masken, für regelmäßiges Spitzenschneiden und Experimente vor dem Spiegel. Nie war ich nachtragend, nicht als sie mich mit Balayage verunstalteten oder mit Sea Salt Spray und Glätteisen gequält haben.
Ich war ein treuer Freund, hielt länger durch als mancher Ehemann.

Bis er kam.

Bob.

Mit einem radikalen Schnitt wurde ich ausgetauscht. Gegen Bob. Der angeblicher jeder Gesichtsform schmeichelt. Auch den erschöpften Gesichtern, denen mit den hängenden Mundwinkeln, denen nach einem Tag voller Kniereitern, Tobsuchtsanfällen, Kackawindeln und matschiger Hirsekringel die Kraft für ein Lächeln fehlt. Den strahlenden natürlich auch, den Instagram- und Pinterest-Gesichtern, die Bob mit Grandezza tragen wie ein kostbares Diadem. Sie alle wollen Bob, gieren förmlich nach ihm, rennen mit Götzenbildern in ihren Handys zu Friseuren und betteln. Auch die Mütter, die auf Schlagworte hereinfallen wie pflegeleicht und alltagstauglich schleppen sich dorthin, scrollen sich mit zitternden Fingern durch 382739 Bilder ihrer Kinder, bis sie diesen einen Screenshot finden, den sie irgendwann nachts beim Stillen gemacht haben, als sie verzweifelt durchs Internet stolperten auf der Suche nach etwas Zerstreuung, ein bisschen Erwachsenenkram, einem Funken Mädchensachen, einem µ Selbstliebe.

Und sie zögern nicht, kein Anflug von Wehmut lässt sie zaudern, als mit scharfer Klinge mein Ende besiegelt wird, als ich auf den dreckigen Boden falle, getreten von bequemen, gut gepolsterten Friseurlehrlingsschuhen. Niemand schaut mir nach, wie ich zusammengekehrt werde und im Müll lande, dem Massengrab unzähliger Messy Buns.
Bob hat uns besiegt. Er triumphiert über uns.

Aber nur für diesem Moment, für die Dauer eines weiteren, flüchtigen Trends.

Doch es gibt Hoffnung. Denn Modeerscheinungen sind flüchtig. Und so wächst die nächste Generation Buns gerade heran. Unbemerkt noch. Vielleicht erst auf Schulterhöhe. Aber sie wächst. Kontinuierlich.

We are not dead. We are growing.

 

Ein Jahr später.

Habe ich es nicht gesagt?

Sie wollen mich zurück!

Immer öfter versuchen sie mich zusammenzuknüddeln, umwickeln mich trotz fehlender Länge hoch oben auf ihren Schädeln mit telefonkabelartigen Zopfgummis. Ich bin kleiner als früher, natürlich, nicht mehr so voluminös. Habe mehr Ähnlichkeit mit einem Gnocchi als einem stattlichen Kloß. Aber ich beklage mich nicht.
Zugegeben noch habe ich nicht die Alleinherrschaft. Ihnen schweben polygame Beziehungen vor, sie glauben, sie könnten uns beide haben: Bob und mich. Ich oben, er unten. Wo soll das hinführen? Am Ende holen sie noch Pixie dazu oder den Undercut. Ein obszönes Stellungsspiel, ein Kampf um Territorien. Undercut links, Pixie rechts, Bob unten, ich oben, wir kommen uns in die Quere, verschmelzen zu einem Konglomerat haariger Trends.
Klar, das gefällt mir nicht, dieses wilde WG-Leben auf den Frauenköpfen. Aber es ist immerhin ein LEBEN!

Was die Zukunft bringt? Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich wiederkehren wie Phönix aus der Asche als einzig wahrer Held. Oder ich muss mich mit den anderen Quälgeistern arrangieren. Im Frühjahr 2020 drohen Topfschnitte angeblich damit, scharenweise Frauenköpfe  zu übernehmen. Topfschnitte! Aber auch das kann mich nicht erschüttern. Im Wissen um meine Unbesiegbarkeit rufe ich laut und stolz:

Be messy! Be a Bun!