Seit etwas mehr als zwei Wochen übe ich mich nun in Abstinenz und Mäßigung. Halte mich fern von Süßkram und Törtchen, meide die üblichen Online-Shopping-Apps und mixe mir artig Smoothies zu meinen Salaten und Gemüsepfannen, immer die imaginäre Liste basischer Lebensmittel im Blick. Zeit für einen kleinen Zwischenstand in Sachen Durchhaltevermögen, oder?

Nach den ersten paar Fastentagen, in denen mich die Motivation leichtfüßig durch das Minenfeld der Verführungen tänzeln ließ, übermannte mich alsbald eine kaum zu bändigende Sehnsucht nach Schokolade. Wie üblich natürlich in Stresssituationen. Als Oski Koslowski beispielsweise, dreißig Sekunden ehe wir in Eile das Haus verlassen wollten, eine ganze Packung Bügelperlen in der Bude verteilte und Wilde Hilde zeitgleich in löwenähnliches Gebrüll verfiel, weil der Ärmel ihrer Jacke nach innen gestülpt war und sie selbige nun nicht anziehen konnte. Während ich also Ordnung in das Ärmelkuddelmuddel brachte und beschloss die Bügelperlen später einzusammeln oder besser noch mit dem Sauger unschädlich zu machen, gefiel es dem Sohn sich einen Hocker zu holen und die Küchenspüle zu fluten. Das alles morgens um kurz nach Acht. Puh.

Doch ich blieb standhaft. In ebendieser und anderen vergleichbaren Situationen oder wann immer mich nach einer herzhaften Mahlzeit der Appetit auf Süßes packte, rettete ich mich mit Mandeln oder einer dieser fancy Teesorten, die nach Apfelkuchen oder Brownies schmecken. Nicht basisch, ich weiß. Aber man muss Prioritäten setzen. Und die oberste Priorität lautet: durchhalten.

Dann aber kam die Tasse. Ja, ganz recht. Eine Tasse brachte mich ins Wanken. Eine leere Tasse wohlgemerkt. Nicht etwa bis zum Rand gefüllt mit köstlichem Kakao und cremiger Sahnehaube. Nein, gähnend leer. Und doch brachte genau diese Tasse aus grauer Emaille mich erst ins Straucheln und ließ mich schließlich stürzen, mitten hinein in mein wackeliges Konstrukt selbstauferlegten Konsumverzichts.

Diese einfache Tasse triggerte wohl meinen etwas altmodisch geratenen Geschmack. Wer Kaffee noch händisch mit Filter und Wasserkocher zubereitet (und dabei das Wort händisch benutzt), ist vermutlich latent im vorigen Jahrhundert steckengeblieben, als es noch keine Kaffeepad-Automaten gab. In meinem Bekanntenkreis kenne ich niemanden, der nicht eine hochmoderne Tassen-Automaten in der Küche stehen hat. Oder zumindest eine Kaffeemaschine. In unserem Haushalt leben keine Kaffeetrinker. Keine Kaffeetrinker, keine Kaffeemaschine. So einfach ist das. Für Gäste brühe ich liebevoll die Filterkaffee-Variante. Händisch. Doch ich schweife ab.

Die Tasse.

Diese Tasse stand also in ihrer ganzen schlichten Erscheinung in einem Geschäft herum, in dem ich eigentlich nur schnell Bastelmaterial für Wilde Hildes Kindergarten besorgen wollte. Ehe ich mich versah, hielt ich sie in der Hand und trug sie wie selbstverständlich zur Kasse. Natürlich meldete sich ein kleines Minimalismus-Männchen in meinem Ohr und gab zaghaft zu bedenken, dass ich mich mitten im Prozess des Konsumfastens befände und der Erwerb dieser Tasse konträr zu meinen Bestrebungen wäre, keine, nicht unbedingt lebenswichtigen Anschaffungen zu tätigen. Weil es sich aber ein Minimalismus-Männchen handelt, es folglich sehr klein ist, mini eben und auch die Stimme in diesem Moment eher einem Flüstern glich, denn einer strengen Mahnung, war es nicht sehr durchsetzungsfähig.

Ich also so: “Klappe halten.”

Und das Männchen verstummte und verschwand verschüchtert.

Die Tasse durfte ohne weitere Störungen bei mir einziehen. In meine tassentechnisch gut ausgestattete Küche. Sind wir mal ehrlich: wenn ich etwas ganz sicher nicht brauche, sind es weitere Tassen. Sagt auch mein Mann, der regelmäßig flucht, wenn er mal die Spülmaschine ausräumt und versucht alle Tassen zu verstauen. Wenn mich jemand fragt, ob ich alle Tassen im Schrank habe, muss ich wahrheitsgemäß antworten: “Zu viele sogar. Viel zu viele.” Und nun noch eine mehr. Wieder puh.

So wenig durchsetzungsfähig das Minimalismus-Männchen übrigens im Laden war, so kühn trat es dann zu Hause auf. Mit einem Kumpel im Gepäck. Herr von und zu schlechtes Gewissen. Ein ganz übler Bruder sag ich euch. Spielverderber und Nervensäge. Nun vergällen sie mir gemeinsam die Freude an meiner Tasse.

Ja, ich weiß, es war ein Rückschlag. Ja, ich weiß, das hätte nicht sein müssen. Ja, ja, ja. Ich bilde mir sogar ein, der Tee schmeckt etwas seltsam, was bei Emaille eigentlich nicht der Fall sein dürfte. Vermutlich ist mein hinreißend schlichtes Tässchen gar ein billiges Giftprodukt aus China. Ich gebe zu, ich schäme mich ein bisschen. Gelobe selbstverständlich Besserung. Garantieren kann ich jedoch für nichts. Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach, so schwach. (Ich fürchte, der Zuckermangel lässt mich etwas zur Theatralik neigen. Man möge es mir verzeihen.) Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass es aber ja nun auch kein Weltuntergang ist, die Fastenregeln etwas aufzuweichen.

Aufzuweichen?“ wiederholt mit streng hochgezogener Augenbraue Herr von und zu schlechtes Gewissen.

Okay, verdammt noch mal. Er hat ja recht. Zu brechen. Ich habe die Regeln gebrochen. Bitte sehr, jetzt ist es raus.

Apropos Fastenbrechen. An den Fastensonntagen wird ja traditionell nicht gefastet. Ich wandle das seit Jahren etwas ab, den unglücklicherweise fallen je nach Kalenderjahr drei bis vier Geburtstage in der Familie in die Fastenzeit. Ich verzichte also an den Sonntagen brav weiter und lege stattdessen an den Geburtstagen fastenfrei ein. Das hat weniger mit mangelnder Standhaftigkeit beim Geburtstags-Kaffeeklatsch zu tun als mit Respekt meiner Mutter, Schwiegermutter und Schwägerin gegenüber, die sich eben auch in der Fastenzeit in die Küche stellen, die Rührbesen schwingen und Geburtstagskuchen zaubern. Wie ein Verräter käme ich mir vor, mich an den hübsch gedeckten Tisch zu setzen und auf die Fastenzeit hinweisend die Kuchengabel über dem Teller kreuzen. Auch der Herr von und zu hat an dieser Auslegung der Regeln nichts zu kritisieren. Dieses Jahr fallen drei Geburtstage in die Fastenzeit – zwei sind bereits vorübergezogen und ich habe mir im Schein der Geburtstagskerzen und bei nettem Geplauder Käsekuchen und Co schmecken lassen.

Gänzlich ohne schlechtes Gewissen.

Mein Vorsatz für die nächsten vier Wochen?

Mandeln statt Schoki und keine Tassen mehr kaufen.

Gutes Durchhaltevermögen wünscht

Eure landMOMeranze