Oktober. Mein Lieblingsmonat. Nicht wegen der bunten Laubwälder oder dem Duft moosiger Nebeltage. Oktober ist Geburtstagsmonat. Neffen, Patenkinder, Cousins, Geschwister, Onkels und Freundinnen – alles Oktoberkinder. So wie ich. Und ich liebe meinen Geburtstag. Auch wenn das herrlich unbeschwerte Geburtstagsgefühl der Kinderjahre verschwunden ist.
Damals, als ich noch Zöpfe trug und schon Tage vorher die Stunden zählte, bis ich mich am 25. Oktober wie ein Königin fühlte, der Ständchen dargebracht und milde Gaben überreicht wurden.
Damals, als ich mittlerweile ohne Zöpfe aber mit kleiner Fahne meinen 16. Geburtstag und den ersten Personalausweis feierte.
Damals, als älter werden noch cool war. Und den Zugewinn von Freiheiten im Gepäck hatte. Mehr Rechten und Privilegien. Führerschein. Wahlrecht. Unabhängigkeit von den Eltern. Sich nichts mehr sagen lassen müssen.
Mittlerweile bin ich diesem altersgebundenen Zugewinn an Autonomie natürlich entwachsen. Gelte als erwachsen. Zumindest den Zahlen nach. Mit 37 sind die einzigen Privilegien die mit zunehmendem Alter kommen, zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen, die von der Krankenkasse übernommen werden. Sinnvoll, klar, aber wirklich cool ist das nicht. Im Gegenteil, das Älterwerden lässt mich merklich grübeln. Auch wenn ich mich an guten Tagen wie 28 fühle, lässt sich nicht leugnen, dass zwischen all dem Brünett auf meinem Kopf schon silberne Strähnen schimmern. Vom vielen herzhaften Lachen und untröstlichen Weinen nisten sich bleibende Fältchen ein. Sichtbare Zeichen des Alterungsprozesses. Nicht dramatisch noch, aber auch nicht mehr zu ignorieren.
Und dann noch die Sache mit der Reise. Mein Leben betrachte ich als eine Reise. Mit meinem Mann, dem besten Reisegefährten überhaupt, habe ich den Plan geschmiedet, dass wir beide 120 Jahre alt werden. Dann suchen wir uns einen schönen Tag aus, legen uns gemeinsam ins Bett, halten uns an den Händen und schlafen ein. Noah wird uns abholen und mitnehmen. Wir haben bis 120 noch ein gutes Stück dieser Reise vor uns. Und dennoch. Irgendwann ist sie zu Ende. Und mit jedem neuen Jahr, mit jedem Geburtstag nähern wir uns diesem Ende. Das macht mich traurig. Denn ich mag mein Leben.
Genau das, diese unbändige Liebe zu meinem Leben lässt mich jedes Jahr den Tag meiner Geburt, den Anfang von allem feiern. Mit Kuchen und Gästen, die mir mit hübschen Geschenken eine Freude machen. Denn das hat sich seit meiner Kindheit nicht geändert: Ich liebe Geschenke! Schon die Mühe, die sich der Schenkenden mit dem Verpacken gemacht hat, rührt mich. Ich bin zudem ziemlich leicht zu beschenken. Weil ich so vieles mag und an den unterschiedlichsten Dingen Freude habe. Das ist überhaupt das wichtigste an meinem Geburtstag. Freude haben.
Das war nicht immer so.
Natürlich nicht.
In der dunklen Zeit wurde nicht gefeiert.
Doch seid ich wieder lebendig bin, koste ich dieses Feierdings richtig aus. Dummerweise bedeutet die Ausrichtung eines solchen Freudentags jede Menge Arbeit. Kuchen wollen gebacken werden, das Haus verlangt eine Reinigung, das Wohnzimmer mag sich feierlich herausputzen. Selbst wenn für das Abendessen nur leckerer Eintopf auf der Speisekarte steht, muss dieser ja auch erstmal eingetopft werden.
Den jährlich wiederkehrenden Spagat zwischen dem immensen Arbeitsaufwand und dem nicht minder intensiven Wunsch, meinen Geburtstag in einem Zustand größtmöglicher Entspannung zu genießen, habe ich in den vergangen Jahren nicht immer gut gemeistert. Ich habe mich verrenkt, verbogen. Weil ich unbedingt ein perfektes Fest schmeißen wollte. Um mir selbst zu beweisen, dass ich es noch kann. In Feierlaune sein, die scherzende Gastgeberin geben. Für dieses Jahr wollte ich eine neue Balance herstellen und am Ende des Tages sagen können: „Ich habe heute jede Minute genossen.“
Gute Vorbereitung ist alles
Natürlich glühten auch dieses Jahr wieder schon zwei Tage vor dem Geburtstag die Rührbesen. Ist ja klar. Und auch okay. Am Vorabend meines Wiegenfestes rückte mein Mann, wertvollster Mitarbeiter meines Partykomitees, unermüdlich Tische, schleppte Stühle vom Dachboden. Ich platzierte Kaffeetassen, füllte Blümchen in kleine Vasen, faltete Servietten, schnippelte und vertupperte Gemüse für Blätterteig-Pizzen.
Dieser Vorarbeit sei Dank konnte ich, am Geburtstagsmorgen mit frischen 37 Lenzen, optisch aber keinen Tag älter als 36, dem schiefen, aber inbrünstigen Ständchen meiner Tochter lauschen, die ersten Geschenke auspacken, wieder ins Bett schlüpfen, noch im Schlafanzug den Blumenstrauß und die Glückwünsche einer Freundin entgegennehmen, abermals ins Bett kriechen, mir einen Tee servieren lassen, gemütlich unter die Dusche spazieren, mir die Nägel lackieren, mit Mann und Sohn Sushi holen und es zu Hause in aller Seelenruhe verspeisen. Mit Stäbchen. Also wirklich langsam.
Kurz vor drei blubberte der erste Kaffee durch den Filter und ich öffnete mit einem aufrichtig entspannten Lächeln meinen Eltern die Türe. Ungezwungen plätscherte der Geburtstag dahin, Gäste kamen, zeigten sich zufrieden mit dem Kuchenangebot, die Kinder spielten weitgehend selbstständig in den Kinderzimmern, die Erwachsenen plauderten. Zwischendurch ein bisschen sehr laute Partystimmung bei den jüngeren Gästen, aber gut, sind halt Kinder. Da kann man schon mal eine Kreisch-Polonaise durch das Haus veranstalten.
Für das Abendessen hatte ich die bereits erwähnte Blätterteigpizza vorgesehen. Super schnell und super lecker und super kinderfreundlich. Fertigen Blätterteig mit allem belegen, was Spaß macht. Pilze, Paprika, Brokkoli, Gorgonzola, Tomaten. Wieder ging mir der an diesem Tag lobenswert fleißige Mann zur Hand und so wurden ohne viel Aufwand alle Mäulchen gestopft.
Größtes Geschenk: Zufriedenheit
Nachdem die Gäste tröpfchenweise das Haus verlassen und wir die Kinder in den Betten geparkt hatten, kuschelte ich mich mit einem Absacker-Kuchen auf das Sofa, beantwortete unfassbar viele Whatsapp- und Instagram-Glückwunsch-Nachrichten, bestaunte meine wunderbaren Geschenke und spürte dem Vibrieren nach, das der Tag in mir ausgelöst hatte.
Ich erinnerte mich an meinen 31. Geburtstag, sechs Jahre zuvor. Es war der erste nach Noahs Tod. Ich war alleine mit meinem Mann im Schwarzwald. Keine Gäste. Eine stille Wohnung. Ein paar holprige Anrufe. Was soll man jemandem wünschen, dessen Kind gestorben war?
Ein Spaziergang, ein gekauftes Stück Kuchen. Viele Tränen und eine Leere, die ich niemals glaubte, wieder füllen zu können.
Und jetzt saß ich hier, in unserem eigenen kleinen Haus, zwei Kinder schliefen gesund in ihren Betten, scherzende, lachende Gäste hatten mit mir an der Kaffeetafel gesessen. Wie gesegnet ich doch war. Und wie schlau, das alles jede einzelne Minute in vollen Zügen zu genießen.
Ein besonderer Geburtstag, dieser 37. Ich hatte mir selbst Zufriedenheit geschenkt.