Drei Kinder. So sah ich mich vor meinem inneren Auge. Immer schon. Als Mutter von drei Kindern. Junge, Mädchen, völlig egal. Drei mussten es sein. Hauptsache drei. Wer mit mir eine Familie gründen mochte, muss drei Kinder wollen. Kein Verhandlungsspielraum. Glücklicherweise fand ich genau den Mann, den die Vorstellung eines Kindertrios ebenso entzückte wie mein auf Fortpflanzung programmiertes Herz. Die Familienplanung stand und das Leben lachte sich schlapp. Drei Kinder? Naives Ding.

Es wurde schon schwer überhaupt eines zu bekommen. Ein wunderbares, zuckerschönes, aber so krankes Kind. Unsere gemeinsame Zeit ungewiss. Vielleicht kurz, vielleicht lang. Niemand weiß es. Aber der Wunsch nach Familie ungebrochen. Drei Kinder. Trotz allem. Oder vielleicht genau deswegen.

Das zweite Kind, kaum flüsternd beschlossen, zappelt schneller in meinem Bauch als ich fassen kann. Einfach so. Ohne Monate eifrigen Mühens. Dem Glück auf der Spur. Fast eine Zweifachmama.
Aber dann, die dunkle Zeit. Binnen zwei Wochen, beide Kinder verloren, wie ein Wimpernschlag erst das eine, dann das andere. Ein totes Kind im Arm, wenig später ein lebloses Ungeborene im Bauch.

Statt Zweifachmama war ich plötzlich eine verwaiste Mutter. Das Leben feixte und kicherte, verhöhnte mich. Der Traum von drei Kindern schien ein ganzes Universum weit entfernt, so weit weg wie der Sohn, den wir zu Grabe getragen hatten, an diesem eisigen Tag im Dezember.

Als mein kaputtes Herz mühsam zu heilen versuchte, klopfte demütig die Sehnsucht an. Wenigstens eins. Ein Kind, bitte, nur eines. Ohne macht es keinen Sinn, dieses Leben. Nicht für mich.
Nach einer gefühlten Unendlichkeit war es da. Das eine Kind. Mit ihm gebar ich überwältigende Dankbarkeit. Ich füllte ganze Atmosphären aus mit meiner Dankbarkeit, dieses eine Kind, wenigstens das eine, an meine Wange schmiegen zu dürfen.
Doch bald schon wurde die Atmosphäre durchtränkt von diesem alten Sehnsuchtsbild, das einfach nicht verblassen wollte. Ich, umringt von drei Kindern. Nicht einem. Drei. Nach drei Schwangerschaften, oder sagen wir besser zweieinviertel, nur ein Kind im Arm zu halten, fühlte sich grundfalsch an. Dankbar, weil immerhin, aber trotzdem falsch.

Zu dieser Zeit planten wir unser Haus. Die Frage nach der Anzahl der Kinderzimmer glühte nächtelang in unseren Diskussionen. Erhitzte die Gemüter.
Wir haben EIN Kind. Wir brauchen auch nur ein Kinderzimmer.
Aber wir wollen mindestens ZWEI. Also zwei Kinderzimmer.
Okay. Zwei. Vielleicht haben wir ja Glück.
Eigentlich wollen wir doch DREI. Wir brauchen drei Kinderzimmer.
Wer weiß, ob wir überhaupt eines bekommen. Was wenn nicht? Was machen wir dann mit zwei zusätzlichen Zimmern?
Aber es waren immer drei. Erinnerst du dich? Drei.
Sicher. Wir haben aber nur eins. Ein Kinderzimmer genügt.
Endlosschleife. Wunschdenken und Realität wanden sich in endlosen Spiralen durch unsere Diskussionen.

Schließlich einigten wir uns auf zwei Kinderzimmer. Eines für das Kind, das wir hatten. Eines, um dem Wunder Raum geben zu können, dass uns mit einem geregelten Hormonstatus und wenigstens einer vernünftig gereiften Eizelle in meinem Zykluschaos überraschen könnte. Insgeheim wagten wir kaum auf ein weiteres Wunder zu hoffen. Wie viele Wunder passieren in einem Menschenleben? Lief unser größtes Wunder nicht längst mit weichen Locken und braunen Murmelaugen an unseren Händen die ersten tapsigen Schritte?

Einen Tag bevor die Bagger anrollten, hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Überwältigt. Sprachlos. Der Bewohner des zweiten Kinderzimmers war unterwegs. Die Mauern des Hauses wuchsen, mein Babybauch auch. Zwei Wochen vor der Geburt bezogen wir das neue Haus. Bereiteten das Kinderzimmer für das kleine Menschlein vor, das ich neun sorgenvolle, tränenreiche, angsterfüllte Monate in mir zu halten versucht hatte. Jeder Gang zur Toilette ein Furchtmoment. Jede Unregelmäßigkeit der Kindsbewegungen eine Angstattacke. Jedes außergewöhnliche StechenZiepenZwicken eine Paniklawine. Nach neun Monaten war ich ein Nervenbündel, aber Mutter eines weiteren, gesunden Kindes.

Zwei Kinder. Gesund. Wieder umwölkte mich Dankbarkeit in pastelligen Tönen und trug mich auf Wolken der Demut durch die Anfangszeit mit Kind im Plural. Endlich der Plural. Aber nicht genug Plural. Meine Kinder. Und doch, ich wollte kein Paar. Ich wollte ein paar. Drei. Es mussten doch drei sein. Drei bei mir. Nicht eines an einem Ort, von dem wir nicht wissen, wo er ist und den wir Himmel nennen, weil wir hinauf winken und an Geburtstagen Ballons steigen lassen können. Drei. Hier bei mir. An mich gekuschelt. An meiner Brust, meiner Hand. Spürbar. Sichtbar. Lebendig. Dieser Wunsch, übergroß, gewaltig, allgegenwärtig, Herzplatz raubend. Und doch…

Es ist nicht das fehlende Kinderzimmer. Es ist die Angst, die uns abhält. Meine Angst.
Die Angst vor der Zeit des Versuchens, der Rückschlage, der ernüchternden Sprache meines Körpers, wenn er mir Zeichen des Scheiterns gibt, Monat für Monat.
Und selbst wenn, neun Monate diese Angst, wieder ein Kind zu verlieren. Wieder das ganze Blut. Das verstummte Herz im Ultraschall.
Und selbst wenn, neun Monate die Angst, ein todkrankes Kind in den Armen zu halten. Wieder in Krankenhäusern Zuhause zu sein, Weihnachten auf der Intensivstation zu feiern, Geburtstagskuchen auf dem Krankenbett zu essen. Von Visiten, Untersuchungen, Ärzte den Alltag bestimmen, von Prognosen verzweifeln lassen.
Angst, vollends den Verstand zu verlieren, das Vertrauen in mich, meinen Körper, meine Fähigkeit, Leben zu schenken. Angst, meinen Kindern neun Monate keine Mutter sein zu können, weil ich nicht mal Mensch sein könnte, sondern nur zitternde Angst auf wassereingelagerten Beinen.
Die Traumkonstellation Dreifachmama schwankt im Angststurm, der tobt und wütet und kühne Mutparolen „Alles kann gut gehen – es ist schon zweimal gut gegangen“ niederwalzt. Sie schwankt, stürzt ein.

Und so siegen Vernunft, Demut und Dankbarkeit. Zwei Kinder. Gesund. Fest an meiner Hand. Immerhin. Und mein Drittes an dem Ort, den wir Himmel nennen.