Ich gebe es zu: die Standhaftigkeit meiner Tochter bringt mich wirklich an meine Grenzen. Wenn Wilde Hilde Nein sagt, heißt das Nein. Unumstößlich. Keine Chance aus diesem Nein mit Witz und Finesse ein Ja zu modellieren. Das ist gut, denke ich mir, für später ist das gut. Der heranwachsenden Teenie-Hilde wird kein schlotziger Jüngling einen Joint andrehen, wenn sie nicht will. Kein aufdringlicher Verehrer die junge Dame Hilde in sein ungemachtes Bett schwatzen, wenn ihr nicht danach ist. Dann werde ich stolz auf sie sein, weil sie standhaft ist und sich nicht bequatschen lässt. So mit 18. Oder 26.

Jetzt allerdings ist sie drei.

D-R-E-I.

Ihre Standhaftigkeit richtet sich vorwiegend gegen mich und ich renne tagaus, tagein gegen dieses Bollwerk kindlichen Widerstands.

Wilde Hilde, komm Zähne putzen.“ – „Nein.“

Nach der nächsten Runde Lotti Karotti ist Bettgehzeit.“ – „Nein.“

Bastel kurz alleine weiter, ich muss mal schnell aufs Klo.“ – „Nein.“

Wir gehen jetzt los in den Kindergarten, zieh schon mal deine Schuhe an.“

Naja, ihr könnt es euch denken. Nein. Natürlich.

Keine Ahnung, wie ihre Stimme klingt, wenn sie Ja sagt

Äußert sich in dieser Sturheit der viel beschriebene Trotz der Dreijährigen? Markiert sie mit jedem Nein neue Eroberungen in Autonomie-Hausen?

Testet sie ihre und meine Grenzen, lehnt sich dagegen wie an ein Gummiband, um zu schauen, ob es nachgibt oder sie zurückschleudert?

Muss sie Nein sagen, um als Erwachsene-Hilde zu wissen wie ein starkes Nein funktioniert?

Oder äußert sich in dieser Vehemenz der Verweigerung schlicht ihr Charakter?

Vielleicht ist es von allem ein bisschen, eine im Grunde gute Mischung, die wir schlucken müssen wie ein etwas bitteres, aber gesundes Süppchen, damit Wilde Hilde groß und stark werden kann. Eine natürlicher Schritt auf dem Weg in ein autonomes, selbstbestimmtes Leben. Und dennoch: Wenn ich nicht gerade innerlich bis zehn zähle, um Ruhe zu bewahren, grüble ich über die Frage nach, wie wir diese Phase überstehen. Es ist doch hoffentlich nur eine Phase, oder?

Welche Rolle spiele ich im Nein-Doch-Nein-Spiel?

Manchmal scheint sich Wilde Hilde einerseits völlig im Klaren darüber, was sie nicht will, um zugleich keinen blassen Schimmer zu haben, was sie denn stattdessen will. So als habe sie sich verlaufen im Wald voller dunkler Neins und nirgendwo ein helles Ja auf das sie zusteuern kann.

Wie kann ich Wegweiser sein? Soll ich standhaft bleiben oder nachgeben? Sie notfalls ohne Schuhe ins Auto setzen?

Die unzähligen Fragen, die in meinem Kopf Galopp laufen, sind Sinnbild meiner eigenen Ratlosigkeit. Ich reagiere je nach Situation, mal kämpferisch, mal geduldig. Und ja, auch genervt. Wenn wir Termine haben, Wilde Hilde sich hinter einem neuen Nein verschanzt, der Kleine den Moment meiner Ablenkung nutzt, um den Schuhschrank leer zu räumen, dann schrumpft meine Geduld auf Rosinengröße zusammen. Der Ton wird schärfer und Wilde Hildes Bollwerk zieht eine weitere Betonwand hoch. Ich weiß in diesem Momenten genau, dass es zielführend wäre, die Ruhe zu bewahren, aber hey, ich bin auch nur ein Mensch. Permanente Neins wie Donnerschläge hinterlassen auch bei mir Spuren. Zumal Geduld und Samtstimme ohnehin nichts an der Gesamtsituation ändern.

Irgendwie überstehen wir solche Situationen. Manchmal gebe ich nach, manchmal finden wir einen Kompromiss, meistens gibt es Tränen. Egal, wie sich die Situation am Ende entwirrt, es fühlt sich selten richtig an. Hoffen wir also, das es tatsächlich nur eine Phase ist. Ich mehr Antworten auf meine eigenen Fragen finde als unzählige Fragezeichen im Kopf. Und ich Wilde Hilde eines Tages Ja sagen höre.